Ein dichter Nebel senkte sich auf die gro ße, fremde Stadt. Ein langer Arbeitstag lag hinter mir, ich war abgespannt und matt. Zu m üde f ür die Autobahn, zu sp ät f ür den letzten Flug. Doch ich wollte nach Haus, Und da fand ich heraus, Gegen Mitternacht ging noch ein Zug. Es blieb noch etwas Zeit, ich wu ßte nicht wohin, so stand ich am Bahnhof herum: Einem Prunkbau aus l ängst vergangener Zeit, Dr ängeln, Suchen und Schieben ringsum. Ich sah die Reisenden, die Wartenden und die Gestrandeten der Nacht, So viel Gleichg ültigkeit, So viel Jammer und Leid Unter so viel kalter Pracht. Ich trat auf den offenen Bahnsteig hinaus, die na ßkalte Luft hielt mich wach. Ich fr östelte, schlug meinen Kragen hoch und sah meinem Atem nach. Aus der Dunkelheit schwebten überm Gleis drei Lichter, mein Zug fuhr ein. Eine Wagent ür schlug. Es war warm in dem Zug, Und ich war im Abteil ganz allein. Lautlos fuhren wir an, und die Lichter der Stadt versanken in milchigem Brei. Und immer schneller flogen erleuchtete Fenster und Vorstadtbahnh öfe vorbei. Noch ein Bahn übergang, ein paar Scheinwerfer und die Welt da drau ßen verschwand. Mein Abteillicht fiel in wei ß Auf den Schotter am Gleis, Und ich ahnte das dunkle Land. Und durch die Dunkelheit drang Der monotone Klang Der R äder auf dem Schienenstrang, Ein einsamer Gesang, Den st ählernen Weg entlang. Vorn an der Trasse standen sie, die Haut wettergegerbt. Mit ihren Spaten hatten sie Adern ins Land gekerbt, Mit Hacken und mit H ämmern hatten sie Berge bewegt Und Schwellen über Schotter und darauf Schienen gelegt. In bittrem Frost, sengender Glut, in Regen, Tag f ür Tag, Nachts einen Strohsack auf dem Boden im Bretterverschlag. Und wieder auf beim Morgengrau'n f ür j ämmerlichen Lohn Und noch ein neues Verm ögen mehr f ür den Stahlbaron. Und bald fauchte das Dampfro ß funkenspr ühend durch das Land. Manch neue Industrie und manch Imperium entstand, Manch unsch ätzbarer Reichtum, doch an jedem Meter Gleis, Jeder Br ücke, jedem Tunnel klebten Tr änen, Blut und Schwei ß. Die Eisenbahn trug Fortschritt, technische Revolution In jedem Winkel, bis in die entlegenste Station. Trug G üter von den Seeh äfen bis an den Alpenrand, Verband Menschen und St ädte und trug Wohlstand in das Land. Doch der gro ßen Erfindung hattet stets die Tragik an, Da ß sie dem Frieden, aber auch dem Kriege dienen kann. Endlose R üstungsz üge rollten bald schon Tag und Nacht: Kriegsger ät und Kanonen war'n die vordringliche Fracht. Schon dr ängte sich auf Bahnh öfen siegesgewi ß das Heer, Den Jubel auf den Lippen und mit Blumen am Gewehr, In fahnen- und siegesparol'n behangene Waggons Nach Lemberg oder L üttich, nach Krakau oder Mons. Im Trommelfeuer von Verdun erstarb der Siegeswahn, Aus Z ügen wurden Lazaretts, und diesmal sah die Bahn Den R ückzug der Geschlagenen und - den Kriegsherren zum Hohn Im Waggon im Wald von Compi égne, die Kapitulation. Millionen Tote auf den Schlachtfeldern, sinnloses Leid. Wer heimkehrte, fand Elend, Not und Arbeitslosigkeit. Doch auf dem Boden des Zusammenbruchs gediehen schon Die Schieber und die Kriegsgewinnler, die Spekulation. Aber es spro ß auch aus den Wirr'n verstrickter Politik Der zarte, schutzbed ürft'ge Halm der ersten Republik. Doch Kleingeist, Dummheit und Gewalt zertrampelten ihn gleich Mit Nagelstiefeln auf dem Weg ins Tausendj ähr'ge Reich. Die Unmenschen regierten, und die Welt sah zu und schwieg. Und wieder hie ß es: "R äder m üssen rollen f ür den Sieg!" Und es begann das dunkelste Kapitel der Nation, Das dunkelste des Fl ügelrades: Die Deportation. In G ütewaggons eingeschlossen, eingepfercht wie Vieh, Verhungert und verzweifelt, nackt und frierend standen sie, Hilflose Frau'n und Manner, Greise und Kinder sogar, Auf der bittren Reise, deren Ziel das Todeslager war. Dann aber brach der Zorn der Gedem ütigten herein, Kein Dorf blieb da verschont, da blieb kein Stein auf einem Stein, Und Bomben fielen, bis das ganze Land in Flammen stand, Die St ädte ausradiert war'n und der Erdboden verbrannt. Der Krieg war m örderischer als jemals ein Krieg zuvor, Und schwer gestraft das Volk, das ihn frevelnd heraufbeschwor. In Tr ümmern und Ruinen strichen sie hungernd umher, Die & Uuml;berlebenden, die Ausgebombten, nichts ging mehr. Und immer l ängere Fl üchtlingstrecks kamen Tag f ür Tag Und Irrten durch ein Land, das unter Schutt und Asche lag. Der & Uuml;berlebenswille zwang sie, nicht zu resignier'n, Die Aussichtslosigkeit, das Unm ögliche zu probier'n: Noch aufzuspringen, wenn irgendwo ein Hamsterzug ging, Wenn an den Waggont ür'n schon eine Menschentraube hing. Ein Platz auf einem Puffer, einem Trittbrett bestenfalls Mit Hoffnung auf ein bi ßchen Mehl, Kartoffeln oder Schmalz. Was auf dem Bahndamm lag, wurde von Kindern aufgeklaubt, Und manch ehrlicher Mann hat manchen Kohlenzug beraubt. Und dann kamen die Z üge mit den Heimkehrern besetzt, Verwundet und zerschunden, abgerissen, abgewetzt. Wie viele Dramen spielten sich auf den Bahnsteigen ab! Suchen und Freudentr änen, wo's ein Wiedersehen gab, Warten, Hoffen und Fragen, wird er diesmal dabei sein? Viele kamen vergebens, und viele gingen allein. Zerschoss'ne Loks und Wagen wurden recht und schlecht geflickt Und auf ein abenteuerliches Schienennetz geschickt. Und der Puls begann zu schlagen, und aus dem Nichts entstand, Mit Hoffnungen und Tr äumen beladen, ein neues Land. Und durch das Morgengrau'n drang Der monotone Klang Der R äder auf dem Schienenstrang, Ein schwerm ütiger Gesang, Den st ählernen Weg entlang. Das Rattern der R äder über eine Weiche rief mich in die Gegenwart. & Uuml;bern ächtigt war ich aufgewacht, ich war fast arn Ziel meiner Fahrt. Ich rieb mir die Augen und rekelte mich, das Neonlicht schien fahl, Und im leeren Raum Zwischen Wachen und Traum Sah ich sie noch einmal: Der Adler, der Fliegende Hamburger, die Preu ßische P 8, Und die sagenumwobene 05 feuchten vor mir durch die Nacht. Ein Gegenzug auf dem Nachbargleis ri ß mich aus den Tr äumen heraus. Ein Blick auf die Uhr, Zehn Minuten nur, Und zum Fr ühst ück w är' ich zu Haus. Drau ßen konnt' ich f ür Augenblicke in erleuchtete Fenster sehn. Sah die Menschen auf dem Weg zur Arbeit auf den Vorstadtbahnh öfen steh'n, Sah die Scheinwerfer der Autos vor den Schranken am Bahn übergang, Und eine Hoffnung lag & Uuml;ber dem neuen Tag Und in dem Sonnenaufgang.
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